so oder so


Per aspera ad astra "Non est ad astra mollis e terris via"

(Über raue Pfade gelangt man zu den Sternen)


Freitag

Das Lied von #Theresienstadt


Wir sind hier 40.000 Juden,
Es waren viel mehr an diesem Ort,
Und die wir nicht nach Polen verluden,
Die trugen wir in Särgen fort.
Und in den Höfen der Kasernen,
Da stehen wir abends sehnsuchtsbang,
Und blicken zu den ewgen Sternen,
Hinauf und fühlen erst den Zwang.
Die Freiheit wohnt im Sternenraume
und nicht in den Kasernenblocks,
Und nachts, da flüstern wir im Traume:
Wie lange noch, wie lange noch...

Oh, Merk Dirs, Bruder, Kamerad,
Das Liedchen von Theresienstadt!

Wir kämpfen um das nackte Leben,
Und jeder Tag bringt neue Not,
Den Stolz, den darf es hier nicht geben,
man bettelt um ein Stückchen Brot.
Früher hätte man das nicht machen dürfen,
Die Suppe holen im Blechgeschirr
Und ohne Löffel gierig schlürfen,
Hier heißt es: Friß oder krepier!
Und demaskiert zeigt sich das Elend
Im Antlitz jeder Kreatur,
Verfehlend, quälend, manchmal stehlend,
denn hier regiert die Ich-Natur.

Oh, merk Dirs, Bruder, Kamerad,
Das Liedchen von Theresienstadt.

Und wo wir wohnen, ists nicht helle,
Nur Hoffnung leuchtet uns voran,
Hier hatten Pferde ihre Ställe,
Dort schlafen heute 60 Mann.
Die Wangen eingefallen und mager,
Von Sehnsucht wird man hier nicht fett,
so liegt man nachts auf seinem Lager,
Und träumt vom Bett im Kavalett.
Den Schmerz, den tapfer man verbissen
Bei Tag, wenn grell die Sonne scheint,
Der hat uns oft das Herz zerrissen
In Nächten , wo man einsam weint.

Oh, merk Dirs, Bruder, Kamerad,
Das Liedchen von Theresienstadt.

Die Stadt der Kinder und der Greise,
Die einen unserer Hoffnung Keim,
Die anderen, die entschlafen leise
Und kehren zu den Vätern heim.
Es holt der Tod, der schwarze Ritter,
Ein Kind, es ist ihm einerlei,
Dann geht durch alle anderen Mütter,
ein langgedehnter Schmerzensschrei.
Die Männer, die sonst nichts bedauern,
Die noch so abgehärtet sind,
Sie fühln im Herzen ein Erschauern,
Ein Schrei der Mutter nach dem Kind.

Oh, merk Dir's, Bruder, Kamerad,
Das Liedchen von Theresienstadt.

So leben wir, im „Muster“-Ghetto hausend,
Ein Schicksal hält uns alle fest.
Wir Juden hier, die 40.000
Sind von Millionen noch der Rest.
Wir haben Kummer, haben Sorgen,
Und viele Schmerzen haben wir noch,
Wir leben hier von heut auf Morgen
Aber wir leben schließlich doch.
Man konnte hier uns vieles rauben,
das Schicksal hat uns hergeführt,
Doch eins behielten wir: den Glauben,
Daß es noch einmal anders wird.
Oh, merks Dir, Bruder, Kamerad,
Das Liedchen von Theresienstadt.

Und wird es einmal anders werden,
Sind Mühsal und Beschwerden aus,
Wird wieder Frieden sein auf Erden,
Dann singe ich mein Lied zu Haus.

Doch will's das Schicksal anders haben,
Erlebe ich die Freiheit nicht,
Und werde ich auch hier begraben,
Wird weiterleben mein Gedicht.
Und wenn die Jahre dann verrinnen,
Für euch voll sorgenlosem Glück,
Könnt ihr euch einmal dann besinnen,
Und denkt an jene Zeit zurück,

Dann sing, oh Bruder, Kamerad,
Das Liedchen von Theresienstadt.





Text: Walter Lindenbaum

Walter Lindenbaum wurde 1943 mit seiner Familie in das Ghetto Theresienstadt deportiert. Er wurde am 28. September 1944 nach Auschwitz überstellt und kam von dort mit einem Evakuierungstransport in das KZ Buchenwald, wo er am 20. Februar 1945 umkam. Seine Frau Rahel und seine Tochter Ruth wurden in Auschwitz-Birkenau ermordet.