so oder so


Per aspera ad astra "Non est ad astra mollis e terris via"

(Über raue Pfade gelangt man zu den Sternen)


Freitag

#Narben #Herz-#Schmerz-#Gedichte

Das neue Buch ist da.
Da wir Schreiber oft belächelt werden, habe ich es  Narben, mit Untertitel Herz-Schmerz-Gedichte genannt


https://www.bod.de/buchshop/narben-flora-von-bistram-9783744868280


#Sauerland #BadBerleburg #Arfeld/Eder



Es ist mal wieder soweit...Besuch der alten Heimat. Vom 1. bis zum 7. Lebensjahr lebte ich hier, verbrachte dann alle meine Ferien hier bei Patentante in Berleburg, bei dem Bruder meiner Oma und dessen Familie in dem beschaulichen Arfeld/Eder und bei Oma in Siegen, meinem Geburtsort.
Nur meine Kusine lebt noch. Mittlerweile ist sie über 80 Jahre alt und kann sich kaum noch draußen bewegen. Noch lebt sie in ihrem Haus, das für mich altvertraute Heimat ist. Im vergangenen Jahr wurde im Erdgeschoss umgebaut, damit sie alles behindertengerecht hat und dank Pflegedienst hat sie neben ihrer Putzfrau auch Unterstützung, um im Alltag einigermaßen zurecht zu kommen. Die drei Kinder leben nicht vor Ort, kümmern sich aber nach Zeit und Kräften.
Ich freue mich so sehr, habe ich sie doch mehrere Jahre nicht gesehen... sie hatte in den letzten drei Jahren mehrere Klinikaufenthalte...grüner Star, greauer Star, Wirbelsäule, Oberschenkelhalsbruch etc

Nun werden wir wieder wie in alten Zeiten quatschen, bis Fransen am Mund sind. Machen wir zwar auch am Telefon, doch Auge in Auge ist es doch immer schöner.
Ich nehme meinen Lappi mit, um sie nachträglich an der Hochzeit meines Sohnes und viel, viel mehr teilnehmen zu lassen.

Hier Erinnerungen an früher aus meinem Buch Lebensscherben:


50er Jahre

Ferien in Arfeld, nur vier Kilometer von Berleburg ent­fernt. Susi war schon recht aufgeregt. Großonkel Paul war der Bruder von Oma. Und der lebte hier mit seiner Frau Marte in dem beschaulichen Dörfchen. Er hatte ein Auto, eine Werkstatt eine Tankstelle und ein Haus mit viel Garten dahinter. Die beiden hatten eine Tochter Waltraud und einen Sohn Franz. Waltrauds Mann war wie so viele Männer aus dem Krieg nicht wieder heimgekommen. So lebte sie mit ihrer Tochter Helga bei den Eltern.
Franz war verheiratet und lebte mit seiner Frau Ruth und den Kindern neben der Tankstelle und Werkstatt seines Vaters, in der er auch mitarbeitete, in einem kleinen Be­helfsheim, das sehr gemütlich war.
Oft schon waren sie alle hier gewesen. Die beiden Kleinen ka­men in einen Bollerwagen und dann marschierten die ganze Familie los … immer durch den Wald voller Düfte und Geräusche, die schön und spannend zugleich waren. Es waren ja nur 5 Kilometer und es wurden auch Pausen gemacht.
Nie hinterfragte Susi, warum sie laufen musste und der ein Jahr jüngere Martin mit dem Baby zusammen gefahren wurde. Es war einfach so. Doch manchmal nahm sie der Vater auch eine kurze Zeit lang auf die Schultern, wenn ihr Schritt zu langsam wurde.
Susi staunte immer wieder, wenn sie in dem kleinen Ort ankam.
In dem großen Garten liefen Hühner herum und Ziegen. Man schaute über ein paar Felder und konnte die Eder se­hen. Wie gerne ging sie dort mit Tante Waltraud und Helga spazieren. Helga war schon groß, dreizehn Jahre älter als die Fünfjährige und nicht oft zu Hause. Sie arbeitete in Siegen und wohnte dort eine ganze Zeit bei Susis Oma.
Die Eder war so verlockend, aber auch gefährlich. Das eif­rige Kind lernte früh zu schwimmen, denn die Eltern wa­ren mit ihr und den Brüdern bei schönem Wetter oft in der städtischen Badeanstalt, so konnte sie mit den Dorfkindern in dem hier sehr schmalen und seichten Fluss spielen, ver­suchen, die kleinen Fische mit den Händen zu fangen, von Stein zu Stein hüpfen und den Sommer genießen, frei wie ein Vogel, ohne Bestrafungen oder Schimpfe, nur in die Nähe des Wehrs durften sie nicht, das war verboten.
„Komm Susi, wir wollen in den Stall, die Hühner müssen raus.“
Da sputete sich die Kleine aber.
Morgens durfte sie mit Tante Marte im Hühnerstall Eier einsammeln und die Klappe aufmachen, durch die alle Hühner und der bunte Hahn in den Garten konnten. Diese durchliefen dann ein Laufgitter, dass sie an dem Nutzgar­ten, in dem es so leckere Stachelbeeren, Johannisbeeren, leckere Erbsenschoten, Salatköpfe und viel, viel mehr gab, vorbeilotste, bis zu der großen Wiese, die sich anschloss. Dort konnten sie den ganzen Tag picken und hacken und kratzen oder einfach sich nur in eine Mulde kuscheln, den Kopf unter einen Flügel geschoben und schlafen oder dösen. Manchmal fand Susi auch ein Ei im Garten, einfach in das Gras gelegt. Das war immer wieder eine Überraschung und Freude. Und dann die drei Ziegen, da gab es leckere Ziegenmilch. Ganz frisch gemolken war die Milch noch warm, wurde durch ein Tuch gegossen und schmeckte … ganz anders als Kuhmilch, herb, würzig…
In der Küche duftete es immer ganz herrlich. Da war es einmal Kuchen, den es nicht nur am Sonntag gab oder leckere Braten. Aber der wunderbarste Geruch war der, wenn Marmelade und Saft gekocht wurden.
Wenn alle nachmittags im Wald und auf dem Berg waren, sammelten sie die Eimer voller Himbeeren und Brombeeren. Dann wurde ein Stuhl umgedreht, auf einen anderen ge­stellt, ein Tuch zwischen die Stuhlbeine gespannt und die herrlich duftenden Beeren darauf geschüttet. Unter dem Tuch stand ein Eimer. Dunkelrot floss nun der Saft durch das Tuch und wurde später zu Gelees und Sirup verarbei­tet. Ganz spannend war das. Mit ihren fast fünf Jahren passte Susi ganz genau auf, damit ihr nichts entging.
Starke Wärme verbreitete der große Herd, der trotz der noch sommerlichen Temperaturen auch tagsüber nie aus­ging. Der Wasserkessel summte immer vor sich hin, das Prasseln des Feuers wirkte wohltuend heimelig und beru­higend. Es bedurfte keiner großartigen Manöver, um Susi dann ins Bett zu bekommen. Die Augen fielen ihr nach so einem Tag ganz von alleine zu.
Einmal nur konnte das Kind nicht einschlafen. Da erzählte Tante Marte ihr die Geschichte von den Nebelfrauen an der Eder, die Kinder, die nicht schlafen wollen, einfach wegholten und nicht zurückbrachten. Erschrocken schloss die Kleine ihre Augen und muckste sich nicht mehr. „Wenn ich mich nicht rühre, merken die Nebelfrauen nicht, dass ich noch wach bin“, dachte sie und hielt ängst­lich ihre Puppe an sich gepresst.


60er Jahre

Sommerferien!!! Zeugnisse!!!
Lautes Gewoge der Kinderstimmen auf dem Schulhof, traurige Kinderaugen, ängstliche Gesichter, aber auch la­chende.
Susi und ihre Freundinnen liefen untergehakt zum Schul­bus. Der Weg führte durch die kleine Stadt Hohenlimburg. Sie waren sehr aufgeregt. Betti erzählte von dem bevor­stehenden Urlaub auf einer spanischen Insel, von der die anderen noch nie etwas gehört hatten. „… und stellt euch nur vor, wir fliegen mit dem Flugzeug! Zwei Wochen bleiben wir da.“
Anka lachte, „Da hätte ich viel zu viel Angst, ich fahre mit meinen Eltern und meinen Geschwistern eine Woche nach Bayern!“
So wurde immer wieder von jedem erfragt, wie er die Fe­rien verbringen würde. Viele blieben zu Hause und freuten sich auf lange heiße Wochen in der Badeanstalt.
Susi lächelte, ihr Zeugnis war gut, sie konnte ganz ruhig sein.
„Ich fahre zwei Wochen zu meiner Patentante, von da aus zu meinem Großonkel und seiner Familie vier Wochen. So bin ich für die ganzen Ferien weg.“
Die Mädchen umarmten sich immer, wenn eine aussteigen musste, winkten noch lange dem Bus hinterher. Ja, die alte Straßenbahn war abgeschafft worden und über die meisten Strecken fuhren nun geräumige Busse, deren Sitze nicht mehr aus hartem Holz, sondern gepolstert waren.
Kaum zu Hause, ging auch schon die Reise los.
Susi hatte sich mit Büchern eingedeckt für die Zugfahrt. Wunderschöne Landschaften flogen an ihr vorbei, ohne dass sie einen Blick dafür hatte. So vertieft war sie, wie immer, in das Leben der Akteure in den Geschichten. Der freundliche Schaffner, diesmal nicht der bekannte Onkel Adolf, gab ihr Bescheid, als der Umsteigebahnhof erreicht war, half ihr mit dem kleinen Koffer und zeigte den richti­gen Anschlusszug.
Und da stand dann auch schon Tante Ira, die in den Jahren seit dem Wegzug ihrer Familie diese bereits drei Mal im neuen Heim besucht hatte. Und Susi hatte schon zwei Mal die ersten beiden Ferienwochen bei ihr verbracht, um von dort aus weiter nach Arfeld oder zu der Oma zu fahren.
Die Augen voller Tränen, glücklich, ihr Mädelchen wieder zu haben, schloss Ira das Kind in die Arme.
„Susi, du bist ja so groß für deine zwölf Jahre, ich erkenne dich kaum wieder und so dünn bist du.“
Der Weg vom Bahnhof zu der kleinen Wohnung war lang und beschwerlich, denn am Berleburger Schloss vorbei ging es nur bergauf. Aber erzählend und lachend wech­selten sich beide mit dem Koffer ab und erreichten das Haus, erhitzt, durstig, aber sehr glücklich.
Was für eine Zeit. Susi genoss die warme Fürsorge der Tante. Jeden Tag unternahmen sie etwas. Sie lernte bei je­dem Besuch ihre alte Heimat näher kennen, denn etwas verblasst waren die Erinnerungen an diese Stadt, die ersten Eindrücke wie Kindergarten und Einschulung, doch schon gewesen.
Badeanstalt, Eis essen, die alte Kindergärtnerin besuchen, beim Milchmann reinschauen, welch eine Freude. Tante Lotte, eine frühere Freundin von Mutti und die ganze Fa­milie besuchen, ein Besuch in dem alten Haus, bei Werner, dem Freund des Vaters und seiner Familie, die alle den gleichen Nachnamen trugen wie Susi und Ira, ohne mitein­ander verwandt zu sein, welch ein Spaß war das …
Die Schlossbesichtigung ‑ nie durfte sie fehlen bei ihren Besuchen. Beeindruckende Gemälde, die großen Säle, Treppen, Türmchen, Ritterrüstungen, alles das war für Susi schon vertraut und lieb geworden. Der Schlosspark, wo man nur „ Hansi, Hansi“ rufen musste, und schon flitzte ein Eichhörnchen einem mit kratzigen Krallen am Bein hoch und schnappte sich die bereit gehaltenen Nüsse aus der ausgestreckten Hand.
Dann lernte sie eines Tages die Schlosskinder kennen, die spielend und jauchzend durch den Park tobten. So hatte Susi sich dann doch nicht die Prinzen und Prinzessinnen vorgestellt, die sie mit einbezogen in ihre Spiele, keine Samtkleider und Pluderhosen trugen … schön, lustig, aber auch ernüchternd.
Und dann der Mittagstisch.
Tante Ira lebte ja allein. Ihre Mittagspause war nur kurz. So hatte sie sich eines Tages entschlossen, am Mittagstisch eines nahe liegenden Hotels teilzunehmen, wo für diese Dauergäste ein gutes, aber auch kostengünstiges Mittages­sen angeboten wurde. Und nun durfte Susi wieder mitge­hen und das alles genießen.
Wie vornehm ihr doch alles vorkam, wie sehr musste sie lachen, wenn der Kellner mit schelmischem Augenzwin­kern sich vor ihr verbeugte und sie kleines Fräulein nannte.
Das Essen war überwältigend. Schlichte Hausmannskost gewohnt, boten sich nun eine Vorsuppe, Hauptspeise und Nachtisch an, jeden Tag.
„Ich kann mich nie mehr bewegen“, lachte sie oft und die Tante strahlte. Wie liebte sie dieses Kind, das so ganz nach ihrer Familie kam. Aber sie fürchtete auch den Tag, an dem dieser Sonnenschein ihr wieder genommen wurde. Sie hatte nicht mehr Urlaub, sonst hätte sie Susi die ganzen Ferien behalten. Um so mehr genoss sie die Zeit, die sie hatten. Wie sehr hellte dieses Kind ihr Leben auf. Allein die Abende, wie komisch konnte Susi andere nachmachen. Blitzschnell änderte sie mit den langen Haaren ihre Frisur. Mit Tante Iras Brille auf der Nase und eng gebundenem Knoten konnte sie ganz strenge Erzieherin sein, mit wild verwuscheltem Haar mimte sie das Mädchen Liane, dessen Leben im Kino gelaufen war, und mit frechem Pferde­schwanz spielte sie die Dalli von den Immenhof-Kindern. Zusammen hörten sie Tante Iras Schallplatten von ihrem Schwarm Freddy und sangen mit.
Und ehe man sich versah, war schon die schöne Zeit vor­bei. Susi war nur sehr kurz traurig, ging es doch weiter zu der Kusine von Mutti. In dem kleinen Dorf gab es so viel zu erleben, in Haus und Garten war es so aufregend, wie es immer schon für Susi gewesen war. Die Eder lockte zum Schwimmen und man traf dort die Freunde vom vergange­nen Jahr, die Susi wieder ohne Probleme in ihrer Mitte aufnahmen.
Helga war inzwischen verheiratet und lebte mit ihrem Mann Heinz bei Mutter und Großvater. Die alte Großtante war inzwischen verstorben.
Doch die vertrauten Gerüche waren geblieben, die Küche mit dem großen Herd, die gemütliche Eckbank, der Priem kauende Großonkel …
Sie lernte von den Dorfjungen tauchen und reiten, wagte sich auf einen Baum, der als Sprungbrett in die Eder diente, sie durfte mit den Freunden am Wehr sitzen und nach den kleinen Fischen schnappen.
Unter dem Ufer tauchten die Kinder und fingen Fische mit bloßen Händen.
Mit Christas Mann machte sie Radtouren. Er besaß ein Tandem und arbeitete damit in der Blindenbetreuung. So konnten auch diese Menschen durch Wald und Feld ra­deln, die sehenden Augen auf dem Sitz vor sich. Und manchmal nahm er Susi mit, wunderbare Touren durch die kleinen Straßen, an den Dörfern und Wäldern vorbei.
Kindheit, leicht, unbeschwert, fröhlich und glücklich. Susi war unendlich dankbar, dass sie so viele Eindrücke sam­meln durfte.
Wie schnell verging die schöne Zeit, viel zu schnell und schmerzhaft kam der Abschied.
Die Zugfahrt zurück ging durch Berleburg und da stand Tante Ira und ließ es sich nicht nehmen, während des kur­zen Aufenthaltes ihrem Liebling noch mal schnell fünf Mark Taschengeld zuzustecken, eine schnelle Umarmung und schon ging es wieder heimwärts.
Susi saß diesmal versunken am Fenster und spürte die Traurigkeit hochsteigen. Doch dann entdeckte sie die Schönheiten des Sauerlandes. Mit offenem Blick nahm sie die satten dunkelgrünen Felder und Wälder wahr. Kühe und Schafe, Pferde und Dörfer … eine Geschichte entstand in ihrem Kopf, ja, diese Geschichte konnte sie den Brüdern erzählen, wenn sie heim kam, und die konnte sie auch auf­schreiben, denn in der Schule würde der erste Deutschauf­satz sicher den Titel tragen: Meine Sommerferien …



Blick vom Balkon auf die Eder

Samstag

#Behinderung und ihre Annahme in der Gesellschaft

Bei einem Wohltätigkeitsessen zugunsten von Schülern mit Lernschwierigkeiten hielt der Vater eines der Kinder eine Rede, die so schnell keiner der Anwesenden vergessen wird.
Nachdem er die Schule und ihre Mitarbeiter in höchsten Tönen gelobt hatte, stellte er folgende Frage:
"Wenn keine störenden äußeren Einflüsse zum Tragen kommen, gerät alles, was die Natur anpackt, zur Perfektion. Aber mein Sohn Shay ist nicht so lernfähig wie andere Kinder.
Er ist nicht in der Lage, die Dinge so zu verstehen wie andere Kinder. Wo ist die natürliche Ordnung der Dinge bei meinem Sohn?"
Das Publikum war angesichts dieser Frage vollkommen stumm.
Dann erzählte er die folgende Geschichte:
Shay und ich waren einmal an einem Park vorbeigekommen, in dem einige Jungen, die Shay kannte, Baseball spielten.
Shay fragte: "Glaubst du, sie lassen mich mitspielen?"
Ich wusste, dass die meisten der Jungen jemanden wie Shay nicht in ihrer Mannschaft haben wollten,
aber als Vater war mir auch Folgendes klar: Wenn mein Sohn mitspielen durfte, dann würde dies ihm ein< Dazugehörigkeitsgefühl> geben, nach dem er sich so sehr sehnte, und auch die Zuversicht, trotz seiner Behinderung von anderen akzeptiert zu werden.
Ich ging also zu einem der Jungen auf dem Spielfeld und fragte, ohne allzu viel zu erwarten, ob Shay mitspielen könne.
Der Junge schaute sich hilfesuchend um und sagte:
"Wir haben schon sechs Runden verloren und das Spiel ist gerade beim achten Inning. Ich glaube schon, dass er mitspielen kann. Wir werden versuchen, ihn dann beim neunten Inning an den Schläger kommen zu lassen."
Shay kämpfte sich nach drüben zur Bank der Mannschaft und zog sich mit einem breiten Grinsen ein Trikot des Teams an. Ich schaute mit Tränen in den Augen und Wärme im Herzen zu. Die Jungen sahen, wie ich mich freute, weil mein Sohn mitspielen durfte.
Am Ende des achten Innings hatte Shays Team ein paar Runden gewonnen, lag aber immer noch um drei im Rückstand. Mitten im neunten Inning zog sich Shay den Handschuh an und spielte im rechten Feld mit. Auch wenn keine Schläge in seine Richtung gelangten, war er doch begeistert, dass er mit dabei sein durfte, und grinste bis zu beiden Ohren, als ich ihm von der Tribüne aus zuwinkte.
Am Ende des neunten Innings holte Shays Mannschaft noch einen Punkt. In der jetzigen Ausgangslage war der nächste Run ein potenzieller Siegesrun, und Shay kam als Nächster an die Reihe.
Würden sie in diesem Moment Shay den Schläger überlassen und damit die Chance, das Spiel zu gewinnen, aufs Spiel setzen?
Überraschenderweise bekam Shay den Schläger. Jeder wusste, dass ein Treffer so gut wie unmöglich war, denn Shay wusste nicht einmal, wie er den Schläger richtig halten sollte, geschweige denn, wie er den Ball schlagen sollte.
Als Shay allerdings an den Abschlagpunkt trat, merkte der Pitcher, dass die gegnerische Mannschaft in diesem Moment nicht gerade auf den Sieg aus zu sein schien und warf den Ball so vorsichtig, dass Shay ihn wenigstens treffen konnte.
Beim ersten Pitch schwankte Shay etwas unbeholfen zur Seite und schlug vorbei.
Der Pitcher ging wieder ein paar Schritte nach vorn und warf den Ball vorsichtig in Shays Richtung.
Als der Pitch hereinkam, hechtete Shay zum Ball und schlug ihn tief nach unten gezogen zurück zum Pitcher.
Das Spiel wäre nun gleich zu Ende. Der Pitcher nahm den tiefen Ball auf und hätte ihn ohne Anstrengung zum ersten Baseman werfen können.
Shay wäre dann rausgeflogen, und das Spiel wäre beendet gewesen.
Aber stattdessen warf der Pitcher den Ball über den Kopf des ersten Basemans und außer Reichweite der anderen Spieler.
Von der Tribüne und von beiden Teams schallte es:
"Shay lauf los! Lauf los!"
Noch nie im Leben war Shay so weit gelaufen, aber er schaffte er bis First Base.
Mit weit aufgerissenen Augen und etwas verwundert hetzte er die Grundlinie entlang.
Alle schrien: "Lauf weiter, lauf weiter!"
Shay holte tief Atem und lief unbeholfen, aber voller Stolz weiter, um ans Ziel zu gelangen. Als Shay um die Ecke zur zweiten Basis bog, hatte der rechte Feldspieler den Ball ... er war der kleinste Junge im Team, der jetzt seine erste Chance hatte, zum Held seines Teams zu werden.
Er hätte den Ball dem zweiten Baseman zuwerfen können, aber er hatte verstanden, was der Pitcher vorhatte, und so warf er den Ball absichtlich ganz hochund weit über den Kopf des dritten Basemans.
Also rannte Shay wie im Delirium zur dritten Basis, während die Läufer vor ihm die Stationen bis nach Hause umrundeten.
Alle schrien nun: "Shay, Shay, Shay, lauf weiter, lauf weiter"
Shay erreichte die dritte Basis, weil der gegnerische Shortstop ihm zur Hilfe gelaufen kam und ihn in die richtige Richtung der dritten Basis gedreht und gerufen hatte:
"Lauf zur dritten!" "Shay, lauf zur dritten!"
Als Shay die dritte Basis geschafft hatte, waren alle Spieler beider Teams und die Zuschauer auf den Beinen und riefen:
"Shay, lauf nach Hause! Lauf nach Hause!"
Shay lief nach Hause, trat auf die Platte und wurde als Held des Tages gefeiert, der den Grand Slam erreicht und den Sieg für seine Mannschaft davongetragen hatte.
"An diesem Tag", so sagte der Vater, während ihm die Tränen übers Gesicht liefen, "brachten die Spieler von beiden Mannschaften ein Stück wahrer Liebe und Menschlichkeit in Shays Welt."
Der Vater fuhr fort: "Ich bin der Meinung, wenn ein Kind so ist wie Shay, das geistig und körperlich behindert zur Welt kommt, dann entsteht die Möglichkeit, wahre menschliche Natur in die Tat umzusetzen, und es liegt nur daran, wie die Menschen dieses Kind behandeln."
Shay erlebte keinen weiteren Sommer mehr.
Er starb im folgenden Winter und hatte nie vergessen, wie es war, ein Held zu sein und mich so glücklich gemacht zu haben und zu sehen, wie die Mutter ihren kleinen Helden unter Tränen umarmte, als er nach Hause kam!"
NUN NOCH EINE KLEINE FUßNOTE ZU DIESER GESCHICHTE:
Viele scheinbar triviale zwischenmenschliche Kontakte stellen uns vor die Wahl: Geben wir ein bisschen Liebe und Menschlichkeit weiter oder verpassen wir diese Chance und machen die Welt dadurch ein bisschen kälter?
Ein weiser Mann sagte einmal, jede Gesellschaft sei danach zu beurteilen, wie sie ihre am wenigsten gesegneten Mitglieder behandle.

#LudwigHirsch #Schutzengerl


#Die Kinder des Krieges




#Es ist an der Zeit